Medizintechnik-Apps 4.0 aus Lübeck

Am „Point of Care“ entscheidet sich in vielerlei Hinsicht, wie effektiv und effizient Medizin und Pflege funktionieren. Dort, wo die Behandelnden mit ihren Methoden und Geräten auf die Patienten treffen, kommt es darauf an, schnell das Richtige zu tun. Ein kleines Lübecker Unternehmen entwickelt für diesen sensiblen Bereich neue, über eine eigene Web-Plattform vernetzte Medizin-Apps. Diese sollen medizinischen Einrichtungen dabei helfen, ihre Prozesse zielgerichtet, patientengerecht und sicher zu gestalten.

„Medizin-Apps 4.0“ nennt Professor Dr. Jörg-Uwe Meyer seine Entwicklung – in Anlehnung an den in den letzten Jahren in der weltweiten Industrie aufgekommenen Begriff „Industrie 4.0“. Gemeint ist hier die vierte technologische Revolution, insbesondere das „intelligente“ Zusammenwachsen technologischer Hard- und Softwarekomponenten durch neue Vernetzungsstrategien im „Internet der Dinge“. In der angewandten Medizintechnologie steht man in diesem Zusammenhang unter anderem vor der Aufgabe, eine große Menge von Daten aus unterschiedlichen Quellen möglichst ohne Zeitverzögerung so aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen, dass der Behandler während der Behandlung das Richtige schnell erkennen und sicher umsetzen kann. „Ob im Operationssaal oder am Pflege-Bett: Maschinengeführter Anwender-Intelligenz gehört die Zukunft“, glaubt Meyer, der seit Jahrzehnten in Unternehmenspraxis und akademischer Lehre daran arbeitet, intelligente Technologien „in die Welt zu bringen“, wie der heute 58-Jährige sagt.

Seit 2013 erhält Meyers Firma „MT2IT“ (Medical Technology towards Information Technology) vom Land Schleswig-Holstein eine „Seed“-Förderung, um die 4.0-Apps auf Basis der bestehenden und bereits als Erfindung angemeldeten Vernetzungssoftware marktgerecht auszuentwickeln. „Die Bausteine der Plattform sind entwickelt und passen zueinander. Jetzt gilt es, die Module so zusammenzusetzen, dass sie als Web-Autobahn für die Medizin-Apps funktionieren“, erklärt der frühere Dräger-Forschungsleiter, der sein privates Vermögen teilweise in die neue Firma mit Sitz im Multifunktionscenter investiert hat. Meyers Plattform ist quellcode- und schnittstellen-offen und auf diese Weise für alle möglichen Geräteanwendungen zugänglich. „Entscheidend ist, dass das System wie ein Umsetzer und Aggregator für Daten am Point of Care funktioniert“, erläutert Meyer, der sein eigener Chef-Entwickler ist und einzelne Software-Module im In- und Ausland entwickeln lässt. „Der Anwender bekommt im Moment der Behandlung die für ihn zielführende Datenauswahl auf sein Endgerät zugespielt. Die App führt durch die vom Gesundheitsanbieter gewünschten Arbeitsprozesse und beschafft sich automatisiert in Echtzeit die relevanten Behandlungsdaten aus verschiedenen Text-, Bild- und Geräte-Quellen, dies entsprechend rechtlicher Normen und Datenschutzanforderungen. Sofort nach Abschluss der Behandlung räumt das System die Daten dann wieder zurück an den Ort, wo sie herkommen oder hingehören, zum Beispiel ins Krankenhausinformationssystem. Es verbleiben somit keine Daten in der Cloud oder in mobilen Endgeräten, um Datensicherheitsprobleme zu vermeiden.“

Die ersten mobilen medizinischen Apps aus dem Hause MT2IT stehen inzwischen kurz vor dem Testeinsatz. Der mobile Pflegedienst des Rote-Kreuz-Krankenhauses in Ratzeburg unterstützt MT2IT bei der Entwicklung der mobilen Wundmanagement Applikation. „Die Pflegekräfte und Wundmanager haben eine genaue Vorstellung davon, wie die interaktive Oberfläche ihrer App auf dem Tablet zu gestalten ist, sodass keine Bedien- oder Dokumentationshindernisse am Bett oder am Platz des behandelten Wundpatienten aufkommen“, so Meyer. Im Bereich Wundmanagement kooperiert MT2IT eng mit der Firma Jalomed aus Lübeck. Auch das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein arbeitet testweise mit einer OP-Integrations- und Protokoll-App des MT2IT-Teams. „Es ist unternehmerisch schon ein Bergauf-Marathon“, fasst Meyer seine vielfältigen Aktivitäten zusammen. „Die Entwicklung der offenen medizinischen Web-Plattform hat jetzt einen Stand erreicht, bei dem wir gezielte Partnerschaften mit großen Medizin- und IT-Playern in den USA und in Deutschland eingehen können und wollen. Das Internet der Dinge und der medizinischen Systeme kommt, aber wir wissen nicht genau, wann es sich in der komplexen und hochregulierten Medizintechnologie wirklich durchsetzen wird.“